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50. Todestag Paul Celan, Gedicht Corona

Verantwortlicher Autor: Karl J. Pfaff Paris, 20.04.2020, 17:22 Uhr
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Paris [ENA] Heute, am 20. April ist der 50. Todestag des Lyrikers Paul Celan. Er gilt als der erste Nachkriegsdichter, der die Gedankenstarre des 3. Reiches für die Literatur wieder öffnete. Lyrik schien nach dem Krieg scheinbar undenkbar nach den gräulichen Geschehnissen. Mit seinem ersten öffentlich gemachten Werk der „Todesfuge“, die ursprünglich „Todestango“ hieß, stieß er bei der Gruppe 47 zunächst auf Unverständnis.

Er wurde am 23. November 1920 als Paul Antschel, später rumänisiert Ancel, woraus das Anagramm Celan entstand, als einziger Sohn deutschsprachiger, jüdischer Eltern im damals rumänischen Czernowitz geboren. Das Motiv, das Paul Celan im Jahre 1948 bewegte, sein Gedicht „CORONA“ zu titulieren, hatte nichts mit dem uns momentan so bedrohlichen „Virenstamm COVID-19“ gemein. "Corona" bedeutete für Celan ausschließlich das lateinische, schmückende Wort für "Kranz". Das Symbol stand für eine Liebesverbindung zur Dichterin Ingeborg Bachmann, der er im Mai 1948 in Wien begegnet war. Beide standen auch in Paris von Ende der vierziger bis Anfang der fünfziger Jahre in regem literarischem Austausch.

Der Briefwechsel erschien im August 2008 unter dem Titel Herzzeit im Suhrkamp Verlag. Es ist das Verdienst von Thomas Sparr, der die „Biografie“ des wohl weltbekanntesten Gedichts „Die Todesfuge“ geschrieben hat. Weitere aktuelle Neubewertungen sind erschienen. Hier offenbart sich die weite Spanne des Georg-Büchner-Preisträgers Paul Celan, aus den Wurzeln der Bukowina, über Bukarest, Wien, Paris und New York. Auch wir erleben in den letzten Wochen diese Sehnsucht nach einer neuen Zeit, nach der Verbindung mit dem, was wir schätzen und doch nur rudimentär fassen können. So strahlt das Gedicht eine unwirkliche Perspektive aus, ganz so ungewiss, wie es momentan viele Menschen umtreibt.

Corona: Aus der Hand frißt der Herbst mir sein Blatt: wir sind Freunde. Wir schälen die Zeit aus den Nüssen und lehren sie gehn: die Zeit kehrt zurück in die Schale. Im Spiegel ist Sonntag, im Traum wird geschlafen, der Mund redet wahr. Mein Aug steigt hinab zum Geschlecht der Geliebten: wir sehen uns an, wir sagen uns Dunkles, wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis,

wir schlafen wie Wein in den Muscheln, wie das Meer im Blutstrahl des Mondes. Wir stehen umschlungen im Fenster, sie sehen uns zu von der Straße: es ist Zeit, daß man weiß! Es ist Zeit, daß der Stein sich zu blühen bequemt, daß der Unrast ein Herz schlägt. Es ist Zeit, daß es Zeit wird. Es ist Zeit. © 1952 Deutsche Verlags-Anstalt München in der Verlagsgruppe Random House GmbH

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